Erste Schritte auf fast vergessenem Terrain: Die Expedition ins Popland Saarland ist wieder gestartet
„Pictures of Pop – Fotografie in der Popkultur” heißt die Ausstellung, die die meisten von uns bisher nur virtuell besuchen konnten. 600 Fotos wurden eingereicht, alle unter dem Motto „Dein persönlicher Popkulturmoment“. Die Vernissage mit ausgewählten Bildern fand am 8. Juli im Haus der Union Stiftung statt, dort kann man die Ausstellung jetzt bis 19. September 2021 besuchen. Eröffnet wurde von Landtagspräsident Stephan Toscani, von Michael Scholl, dem Geschäftsführer der Union Stiftung und von dem Vorsitzenden des PopRats Peter Meyer. Sie verliehen auch den drei Gewinnern der Ausschreibung den Preis, den sie sich mit ihrem persönlichen Popkulturmoment-Foto verdient haben.
PopRätin Laila Gulaif war vor Ort.
Ich mache heute eine Reise ins Popland Saarland. Unverzichtbar für meine Expedition ist die Mund-Nasen-Bedeckung. Mein Visum, den negativen Corona-Test, habe ich auch in der Tasche. Und entdecken will ich diese Popkultur, von der alle sprechen. Ich weiß, dass ich sie einmal gekannt habe und bin gespannt, welche Zeugnisse einer Zeit vor Corona ich heute finde.
Die Veranstaltung wird eröffnet mit Musik. Oku spielt heute ohne seine Reggaerockers, doch begleitet von Keyboarder Daniel macht er tatsächlich live Musik – mit Publikum, ohne Link zum Einwählen! Am Ende seines Songs „Laterne“ passiert etwas Ungewöhnliches: die Menschen klatschen in die Hände und es sind genug Leute da, dass es sich anhört wie ein richtiger Applaus.
Begrüßende Worte gibt es von Michael Scholl, er erklärt die Union Stiftung als einen Ort der Kultur. Er erzählt von der finanziellen Unterstützung für Kulturschaffende, die die Stiftung während der Pandemie mobilisieren konnte und hofft, dass bald wieder mehr Konzerte in der Steinstraße 10 stattfinden.
Peter Meyer bringt mein Vorgefühl für den heutigen Abend auf den Punkt: „Nach einem Jahr Corona-Verzicht heißt es jetzt endlich wieder: Menschen treffen. Endlich wieder Ausstellungen, Konzerte und Events, endlich wieder die Popkultur feiern!“
Und Stephan Toscani berichtet von den Kosmonauten im saarländischen Landtag, die die Ausstellung vom Popland Saarland zuerst betreten durften.
Nun denn, ich begebe mich also auf die Entdeckung der Höhlenmalereien an den Wänden. Eingefangen von Spiegelreflex- und Handykameras hängen sie hier.
Ich sehe Menschen, die die Popkultur feiern, die Musik machen, die sich selbst als zeitgenössisches Kunstwerk inszeniert haben:
Der perfekte Lidstrich für die FARK, der ordentlich gebürstete Vollbart des Bassisten, das fein gestochene Tattoo auf dem Oberarm der Konzertbesucherin.
Und als ich diese Menschen sehe, fällt mir so langsam alles wieder ein. Ich kenne diesen Ort vor der Bühne oder hinter den Kulissen. Ich habe Menschen gesehen, die sich on stage die Seele aus dem Leib brüllen, und ich weiß wie es aussieht, wenn sich deren Schmerz oder Euphorie in den Augen des Publikums widerspiegelt.
Ich habe es gesehen, das Muskelzittern in den Waden der Roadies, wenn sie einen besonders schweren Verstärker schleppen. Ich stelle mir vor, wie die Schneiderin mutig senfgelbe Stoffbahnen trennt, um daraus einen BCBG Anzug für den Frontmann der Band zu schneidern – völlig gegen den Trend.
Auf den Fotos kann mal all diese Fragmente der Popkultur sehen, die sich in jedem von uns befinden. Das symmetrische Makeup der Dragqueen, der Schweiß auf der Stirn des Schlagzeugers, die kräftig pumpende Ader am Hals des Gitarristen, als er beim Solo über ein Meer tragender Hände surft.
Ich erinnere mich wieder an die staubige Kehle auf dem Rocco del Schlacko, wenn Felix von Kraftklub mal wieder alle dazu aufgefordert hat, eine Hand voll Dreck in die Luft zu schleudern. Und ich weiß genau, wie gut danach das Bier schmeckt an diesen schwülen Augusttagen. Fast kann ich das heiße Fett der Buden riechen, die an der „Fress-Meile“ auf Festivals ihre hochkalorischen Snacks anbieten.
Auf den Bildern sehe ich blauen Himmel über dem Sankt Johanner Markt und graue Wolken über Campino, der die Menge erst zum Kochen bringt, bevor der Regen sie gleich wieder abkühlt. Ich muss an die Gitarrist*Innen denken, die erst ihre schützende Hornhaut an den Fingerkuppen zurück gewinnen müssen, bevor es wieder los geht.
Ich freue mich als ich höre, wie Oku seinen Text vergessen hat – er hat dasselbe durchgemacht wie wir alle. Und das vereint uns jetzt in diesem Moment. Es ist für uns alle eine Expedition in ein fremd gewordenes Land.
Die Popkultur hat aber keine Angst vor uns, sie wird uns anspringen!
Mit ihren Farben, die gerade jemand an eine Backsteinmauer gesprüht hat. Mit ihren Klängen, vom süß schmeichelnden Saxophon bis zum Double Kick Bass, der uns die Luft aus den Lungen drückt.
Sie wird uns Falten ins Gesicht graben, wenn wir über Graffitis staunen; wenn wir die Lieder singen, die uns ins Herz schneiden. Und wenn wir lachen werden über das, was auf den Bühnen dieses Poplands so passiert.
Sie wird uns verführen einen Totenkopfgürtel zu tragen wie Alice Cooper oder eine geblümte Bluse wie Guildo Horn.
Die Popkultur wird uns früher oder später zurück zum Haarspray bringen, uns ein Feuerzeug zur Ballade schwenken lassen oder den Wunsch wecken, diese eine Gänsehaut-Momentaufnahme mit dem Smartphone zu fotografieren.
Und da schließt sich der bunte, laute, wilde Kreis:
Als Pioniere in einem neuen Land wie einst Kolumbus, sind wir gleichzeitig auch die Ureinwohnerinnen und Vorfahren auf den Tanzflächen. Auf, vor und hinter den Bühnen. Auf glatt polierten Museumskorridoren. Auf knarrenden Kneipendielen. Auf festgestampfter, roher Festival-Erde.
Wir bewegen uns sicher auf dem Boden, den wir selbst mitgestalten.
In unserem Popland Saarland.
Laila Gulaif
Titelfoto: Capadol